Freitag, Juni 08, 2001

 

Leiden einer Nichtraucherin - Dr. Hedi Schreiber

(Umweltepidemiologisches Bulletin des RKI, Nr. 23, 8.6.2001)



Nachtrag zu Weltnichtrauchertag 2001:
Von der Schwierigkeit, rauchfrei zu atmen – eine Nichtraucherin berichtet

Anliegen des Epidemiologischen Bulletin des Robert Koch-Institutes ist es, das Abwenden von Gesundheitsgefahren mit den verfügbaren Mitteln bestmöglich zu unterstützen. Dazu gehören auch weltweite, durch die Weltgesundheitsorganisation organisierte Initiativen, wie zuletzt der Weltnichtrauchertag am 31. Mai 2000, der dem Schutz der nicht rauchenden, aber durch Rauch gefährdeten Mitmenschen gewidmet war. Zwei Beiträge dazu fanden bereits Eingang in die Ausgabe 21/2001, ein dritter, besonders engagiert und für das Bulletin ungewöhnlich, weil aus der Sicht einer Betroffenen geschrieben, konnte in der Ausgabe nicht mehr berücksichtigt werden. Weil diese persönlichen Gedanken einer Wissenschaftlerin „aus der Praxis, für die Praxis“ aber besonders geeignet erscheinen, das Problem bewusst zu machen, Nachdenken und Umdenken zu bewirken, sollen sie hier weitgehend unverändert als Nachtrag zum Weltnichtrauchertag erscheinen:

Wie entzieht man sich im alltäglichen Lebensablauf den Gesundheitsgefahren durch Tabakrauch? Ein Problem, das in unserem Land weitaus schwerer zu lösen ist, als es zunächst erscheint und eine Vielzahl von Einschränkungen für Nichtraucher in allen Lebensbereichen bedeutet. Probleme für Nichtraucher ergeben sich praktisch überall im täglichen Leben. Die Unannehmlichkeiten zeigen sich z.B. beim Betreten der letzten verbliebenen echten Kommunikationszentren: den Zeitungsläden um die Ecke. Hier halten sich Anwohner gerne zu einem kleinen Plausch mit dem Verkaufspersonal oder anderen Anwohnern auf – sehr häufig rauchend. Wie überhaupt Rauchen ein Gemeinsamkeit schaffendes Phänomen zu sein scheint – wenn geraucht wird, rauchen meist alle auf einmal. Als Nichtraucher verkürzt man daher zwangsläufig den Aufenthalt in diesen Läden – sofern das Betreten nicht überhaupt vermieden wird – auf ein Minimum, obwohl man doch eigentlich gerade die kleinen Läden in der Nachbarschaft unterstützen möchte. Nach diesem gescheiterten Versuch der Unterstützung lokaler Kleinunternehmen versucht man, wenigstens umweltbewusstes Verhalten durch Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel zu zeigen. Beim Warten auf Busse und Straßenbahnen trifft man jedoch auf Raucher, die in der dicht gedrängten Menge in einem kleinen Schutzhäuschen unbedingt rauchen müssen! Also wartet man außerhalb des Wartehäuschens, auch wenn es regnet (Feuchtigkeit soll ja auch gut sein für die Haut, für Dauerwellen allerdings weniger). Also steigt man – falls möglich – besser in die Tiefen der U-Bahn um, dort ist das Rauchen nämlich inzwischen verboten (in Berlin). Theoretisch. Praktisch wird das Verbot dagegen gerne ignoriert und schon ist man wieder in dem quasi abgeschlossenen Raum der Bahnsteige dem Rauch ausgesetzt. Beschließt man, lieber zu Fuß zu gehen, wird einem von Vorausgehenden der Qualm durch den Wind in die Nase gepustet.

Möchte man nach all der Unbill in einem Restaurant ausruhen, ist das nur in einem der wenigen Nichtraucher-Restaurants oder im Sommer in Lokalitäten mit Außenflächen möglich, da die Rauch-Konzentration gerade in Restaurants häufig unerträglich ist. Allerdings ist man auch in Gartenrestaurants nur eingeschränkt vor dem herüberwehenden Rauch der Nachbartische sicher. Besonders tückisch sind dabei Pfeifen- und Zigarrenraucher, die offenbar eine besondere Nähe zur freien Natur haben. Flüchtet man vor all diesen Beeinträchtigungen ins Kino, sind Aufenthaltsraum und Kinokasse häufig in einem Raum. Während des endlosen Wartens auf eine kleiner werdende Kassenschlange wird man aus der gesamten Umgebung der ebenfalls Wartenden vollgequalmt – und flüchtet. Am besten ins Fitness-Studio, das soll ja schließlich der Gesundheit dienen. Leider gibt es aber sogar einzelne Studios mit angeschlossenem Bistro (eine natürlich an sich gute Einrichtung), durch das man durchgehen muss, um ins Studio zu kommen, und in dem das Rauchen erlaubt ist! Bei Nachfragen nach der Vereinbarkeit zwischen Fitness und Rauchen bekommt man dann – wie so häufig - den Vorwurf der mangelnden Toleranz gegenüber Rauchern zu hören. Schockiert geht man trostsuchend zu seinem Arzt, nur um festzustellen, dass entweder dieser selbst raucht oder – mit seiner Duldung – das Personal der Praxis (auch wenn es meist versteckter passiert und bei weitem nicht so häufig wie im alltäglichen Leben, tröstet es nicht wirklich).

Beschließt man, sich zur Ablenkung dem Kaufrausch hinzugeben und die garantiert rauchfreie Zone eines Warenhauses aufzusuchen, sollte man über eine stabile Blase verfügen. Anderenfalls muss man durch dichte Rauchwolken im Kaufhaus-Restaurant zu den meist dort gelegenen Toiletten eilen. Glaubt man, sich diesen Problemen durch den Besuch von Veranstaltungen unter freiem Himmel entziehen zu können, so sieht man sich auch hier getäuscht. Mit großer Sicherheit wird jemand vor, neben oder hinter einem Qualm verbreiten, dem man dann wieder ausweichen muss. Dabei kann man die grazile, abgewinkelte Armhaltung von Rauchern bewundern, die den Tabakrauch in perfekter Weise von ihnen selbst fernhält und direkt in die Atmungsorgane der danebenstehenden Nachbarn leitet. Auf Flohmärkten wird man so von der Betrachtung der ausliegenden Pretiosen abgehalten und spart eine Menge Geld. Diese ersparten Ausgaben sowie die durch Nichtkauf von Zigaretten vermiedenen beträchtlichen Kosten würden zusammen mühelos den Kauf einer Atemmaske ermöglichen. Leider sind diese weder hübsch noch praktisch und daher keine wirkliche Hilfe im täglichen Nichtraucherleben.

Resigniert sagt man sich, dann eben keine Freizeitvergnügungen – auf zu Fortbildungsveranstaltungen im Gesundheitswesen. Hier sollte man sich doch auf der sicheren Seite befinden. Und siehe da: zu Beginn der Veranstaltung wird auf das generelle Rauchverbot in allen Räumen hingewiesen! In der Pause sieht man dann jedoch ganz selbstverständlich die Rauchschwaden verschiedener Raucher und ebenso selbstverständlich stehen überall Aschenbecher. Zum Hinweis an das Personal, es sei Rauchverbot angekündigt, wird darauf hingewiesen, dass man die armen Menschen doch nicht nach draußen in die Kälte schicken könne. Abgesehen davon, dass es bei strahlendem Sonnenschein draußen schon angenehm temperiert war, ist das Pausieren in der Kälte Nichtrauchern – d.h. der Mehrheit der Anwesenden - im Umkehrschluss dann aber wohl ohne weiteres zuzumuten. Die hilfesuchende Nachfrage bei den Organisatoren wird mit dem Hinweis abgewiesen, man wolle jetzt keine Konflikte mit den Rauchern.

Verzweifelt geht man nach all diesen Erlebnissen nach Hause in die anscheinend einzige rauchfreie Zone. Die Rückzugsmöglichkeit in den Privatbereich bezieht sich allerdings nur begrenzt auf den Balkon, da rauchende Nachbarn auch hier die Atemluft beeinträchtigen. Will man sich im Urlaub erholen, wird man gleich morgens im Frühstücksraum von qualmenden Gästen gefährdet – ebenso wie die meist zahlreich anwesenden Kinder. Die Gaststätten-Problematik in den Urlaubsorten und in den Autobahnrestaurants beeinträchtigt den Urlaub ebenso wie am Wohnort. Da Raucher zudem häufig Zigaretten ungehemmt überall hin wegwerfen, wird der Genuss der Betrachtung von Denkmälern – an denen man die Kippen natürlich ebenfalls findet – auch beeinträchtigt.

Man fragt sich, wie dies alles möglich sein kann (genannt wurden ja nur einige Beispiele, dabei sogar unter Ausklammerung des Problembereichs Arbeitsplatz). Aber eigentlich haben Raucher – und viele Nichtraucher, die sich der sie umgebenden Gefahren oftmals nicht bewusst sind und die Problematik daher sogar bagatellisieren - es ja wirklich nicht leicht. Es gibt zwar unzählige wissenschaftliche Untersuchungen und Veröffentlichungen über die Gefahren durch Rauchen und Passivrauchen – aber die werden von der Allgemeinheit selten gelesen. Nun gut, es steht auch auf allen Zigarettenschachteln – aber das wird offensichtlich ebenfalls ignoriert. Werbung mit schönen, reichen, aktiven und glücklichen Menschen ist erlaubt, Verbote werden nicht kontrolliert, bekannte Personen bis in höchste Staatsämter rauchen in der Öffentlichkeit – wobei Zigarren die ultimative Belästigung überhaupt darstellen – und fast überall kann man Zigaretten kaufen. Das Rauchen im Auto ist erlaubt, obwohl durch Hantieren mit Zigaretten – wie bei Handys – auch Unfälle entstehen können und eine massive Luftverunreinigung auf kleinstem Raum auftritt. Nicht einmal für die besonders schutzbedürftigen Kinder schlägt das Herz der Gesellschaft und der Politik – auch Kinder, dabei sogar Kinder mit Asthma – werden dem Qualm bedenkenlos durch Fremde und durch die eigenen Eltern ausgesetzt. Dies könnte wohl einer Körperverletzung an Minderjährigen gleichgesetzt werden.

Wahrscheinlich werden einfach nicht die richtigen Argumente zur Raucher-Aufklärung genannt. Obwohl in allen Umfragen zu den Wünschen der Bevölkerung die Gesundheit eine herausragende Stellung einnimmt, kann sich in der Praxis offenbar kaum jemand zu tatsächlichen Verhaltensänderungen durchringen. Würde jedoch darauf hingewiesen, dass neben den bekannten Folgen des Rauchens Nikotin auch die Schönheit und die Potenz (ein im Anti-Raucher-Land USA besonders thematisierter Aspekt) beeinträchtigt, wären vielleicht mehr Betroffene beunruhigt und zu Konsequenzen bereit. Auch würden vermutlich Anti-Rauch-Kampagnen mit öffentlich bekannten und beliebten Persönlichkeiten einen größeren Effekt erzielen, als die Standard-Aufklärungsmaßnahmen, die vorrangig die Vernunft ansprechen. Dazu müsste es aber überhaupt erst mal zu einer öffentlichen Thematisierung kommen. In letzter Zeit war dies nur im Zusammenhang mit dem geplanten, aber bisher nicht durchgesetzten Tabak-Werbeverbot in der Europäischen Gemeinschaft der Fall.

Überall in Deutschland sieht man rauchende Menschen als üblichen Bestandteil des öffentlichen Bildes – in der Realität, in Fernsehfilmen und in der Werbung. Dies alles geschieht ohne öffentliche Debatte und ständige Proteste der Nichtraucher über die Gesundheitsgefahren für die Bevölkerung. Wie sollte das möglich sein, wenn Tabakrauch wirklich so gefährlich ist? Die Raucher können sich damit zurücklehnen und weitermachen wie bisher. Die schweigende Mehrheit der Nichtraucher arrangiert sich weiterhin individuell mit der Problematik und setzt sich vielfach unausweichlichen Gesundheitsgefahren aus.

Zudem sind es immer die Nichtraucher, die sich ihr Recht auf giftfreie Luft erkämpfen müssen, und dabei als intolerant und sogar egoistisch dargestellt werden. Ein aktives Vorgehen gegen diese Zumutungen traut man sich dabei häufig nicht, weil als Gegenäußerungen der Raucher in der Öffentlichkeit oftmals üble Pöbeleien erfolgen oder man mit Angriffen rechnen muss. Also versucht man wegzugehen oder hält es aus, wenn es keine Alternative gibt.

Durch gesellschaftliche und politische Duldung des Rauchens werden diejenigen geschützt, die Giftstoffe achtlos gegenüber anderen und vor allem Kindern verbreiten. Nichtraucher dagegen sind, von den wenigen bisher durchgeführten Maßnahmen zum Nichtraucherschutz abgesehen, gezwungen, sich der täglichen Gesundheitsgefährdung durch Tabakrauch auszusetzen oder durch ständige Wachsamkeit gegenüber Qualmquellen die Exposition zu vermeiden. Eine teilweise Vermeidung ist nur durch umfassende Planung möglich. Raucher müssen dagegen bei uns selten planen, wie sie rauchfreie Zeiten überstehen – sie rauchen einfach. Nicht die Raucher müssen recherchieren, wo es Gaststätten, Hotels etc. gibt, in denen sie sich ungehindert mit kanzerogenen Stoffen einnebeln dürfen, sondern Nichtraucher müssen Initiativen gründen und Verzeichnisse erarbeiten, in denen solche Lokalitäten mit Nichtraucherschutz oder Rauchverbot aufgeführt sind. In den meisten Fällen ist der Nichtraucher gezwungen, aktiv Wege zu finden, sich dem gesundheitsgefährdenden Qualm zu entziehen, und nicht der Raucher als Verursacher hat eine Gefährdung und Belästigung anderer zu vermeiden. Damit ist eine Umkehrung der ansonsten beim Umgang mit Giftstoffen üblichen Prinzipien gegeben, ohne dass es darüber täglich öffentliche Proteste gibt.

Man wünscht sich hier ein verantwortungsvolleres Vorgehen von Politik und Gesellschaft gegen gefährliche Gift-/Suchtstoffe und vor allem auch wirksamere Aktivitäten zum Schutz der Kinder als den schwächsten Gliedern der Gesellschaft, die zudem ihre Lebensbedingungen nicht selbst beeinflussen können!

Für diesen Bericht danken wir Frau Dr. Hedi Schreiber, Berlin.